„Wir haben uns nicht verkauft“Interview: Marc Weigel, der Vorsitzende der Freien Wähler, über das Ende der Koalition mit der CDU, den Startder Jamaika-Koalition und das Gerücht, er wolle als Oberbürgermeister 2017 die Nachfolge von Hans Georg Löffler antreten.
Die Kommunalpolitik in Neustadt ist immer für Überraschungen gut. Das war auch 2014 nicht anders. Im Mai verkündete Marc Weigel (36),
der damalige Kulturbeigeordnete und heutige Fraktionsvorsitzende der Freien Wähler (FWG), nach 13 Jahren das Ende der Zusammenarbeit
mit der CDU. Die FWG, mit über 18 Prozent der Gewinner der Kommunalwahl im März, ging in die Opposition. Es folgte ein Jamaika-Bündnis
von CDU, Grünen und FDP.
Herr Weigel, wie denken Sie acht Monate danach über das selbst gewählte Koalitionsende?
Die Bedingung der CDU, dass die FWG keinen eigenen Kandidaten bei der Oberbürgermeisterwahl 2017 aufstellen und blindlings einen CDU-Bewerber mittragen sollte, war für uns nicht akzeptabel. Mit einem vergifteten Köder wollte man dann auch noch Georg Krist und mich gegeneinander ausspielen, weil man mir einen Posten anbot, der für ihn das Ende hätte bedeuten sollen. Die CDU war zum wiederholten Mal klarer Wahlverlierer, wir waren klarer Gewinner. Wir hatten Ingo Röthlingshöfer ein Jahr zuvor ohne Bedingungen wieder zum Bürgermeister gewählt. Ich fand das Verhalten unseres früheren Partners sehr bescheiden. Es war richtig, sich darauf nicht einzu- lassen und sich nicht zu verkaufen. Der Meinung bin ich auch heute noch, auch wenn ich gerne Kulturdezernent geblieben wäre. Es war richtig. Das zeigt mir auch der Start der Jamaika-Koalition. Die machen so weiter, wie wir das nicht mehr wollten.
Hatte sich das Ende angedeutet?
Ja, schon seit Januar, als CDU-Vertreter uns gegenüber öffentlich auf Distanz gegangen waren. Politik lebt von Menschen und der Art und Weise, wie sie sich einbringen. Können Sie das näher erläutern?Oberbürgermeister Hans Georg Löffler ist menschlich nett, aber er ist ein unpolitischer Verwaltungstyp. Seine Arbeit fußt wenig auf Trans- parenz und Kommunikation. Damit will er auch Konfrontationen aus dem Weg gehen. Da im Stadtvorstand auch innerhalb der CDU, vor allem zwischen ihm und Ingo Röthlingshöfer, wenig geredet wurde, ist uns allen die Diskussionskultur verloren gegangen.
Mit welchen Konsequenzen für die Freien Wähler?
Wir sind im Laufe der Jahre pragmatisch geworden und haben uns angepasst. Haben uns auf die Bereiche konzentriert, bei denen wir in der Verantwortung standen, Kol- lege Krist im Umwelt- und Ordnungsbereich sowie im Tourismus, und ich bei der Kultur. Und ich glaube behaupten zu können, bei uns ist es ganz gut gelaufen. Die Bau- stellen gibt es in anderen Dezernaten. Wir waren aber der kleinere Partner. Der Mut, unsere Unzufriedenheit auch öffentlich kund zu tun, hat uns gefehlt. Mit jeder Wahl wurden wir stärker. Mit dem Wunsch nach mehr Mitsprache hatte die CDU ein Problem. Und problematisch wurde es dann, als wir uns für eine Bürgerbefragung zur B 39 ausgesprochen haben. Das war für die CDU der Bruch.
Bereuen Sie die Bürgerbefragung?
Nein, wir sind ja grundsätzlich für mehr Bürgerbeteiligung. Wir haben damals den Gegenwind gespürt. Und es gab den Punkt, an dem man das Projekt nicht mehr ohne breite Legitimation einfach durchziehen konnte. Was mich ärgert, ist, dass es so weit gekommen ist. Ich bin überzeugt, dass das Projekt Neustadt genutzt hätte. Die Stadt ist aber an ihrer Kommunikation gescheitert. Man hätte das früher vernünftig erklären müssen, vor der parteipolitischen Polarisierung. In dem Diskussionsprozess wurden dann ganz viele Fehler gemacht. Der Bürger hatte das Vertrauen verloren. Wir hätten vielleicht selbst noch mehr tun können, aber das Auftreten des Oberbürgermeisters in der öffentlichen Debatte war leider auch alles andere als zielführend.
Waren Sie lange Zeit zu loyal?
Ich denke schon, daher haben wir auch Mitschuld an der Situation. Es gab immer wieder mal Stimmen bei uns, die eine andere Gangart gefordert haben. Die kann man bei uns auf Dauer nicht unterdrücken. Das ist anders als bei der CDU. Da wird von oben nach unten oft Konformität verlangt. Da gibt es auch wenig unbequeme Geister.
Während den Freien Wählern vorgeworfen wird, Einzelinteressen von Betroffenen aufzugreifen?
Ich weiß, worauf Sie hinauswollen. Gegen diesen Vorwurf wehre ich mich entschieden. Wenn zum Beispiel meine Fraktionskollegin Petra Schweitzer neben der Bauschuttdeponie wohnt, dann kennt sie die Probleme der Menschen dort, die bei ihr klingeln. Dann greifen wir das auf. Kommunalpolitik bedeutet in erster Linie das Bemühen, die bekannten Probleme vor Ort zu lösen.
Ein halbes Jahr Jamaika – wie fällt Ihr Urteil aus?
Was wir jetzt haben, ist das Schlechteste, was passieren konnte. Eine CDU, die wie bisher keine Linie verfolgt, und zwei kleinere Partner, die die gleichen Erfahrungen machen werden, wie wir sie gemacht haben. Sie lassen sich einlullen.
Inhaltlich sind doch in der jüngsten Stadtratssitzung erste Weichen gestellt worden?
Wo denn? Es ging ein halbes Jahr um Posten, nicht um Inhalte. Über das Zehn-Punkte-Programm der Koalition kann man nur müde lächeln. Dann sollten die Aufwandsentschädigungen für die Aufsichtsratsvorsitzenden erhöht werden. Etwas Gegendruck hat Gott sei Dank gereicht – es wurde wieder fallen gelassen. Wir haben mit Waltraud Blarr nun eine ehrenamtliche Beigeordnete der Grünen, die ich zwar schätze, die aber in Mainz arbeitet und zwangsläufig weniger präsent ist. Vor allem um die Schulentwicklung mache ich mir Sorgen. Auch den Fraktionen hätte mal eine personelle Erneuerung gut getan. Die FWG hat es immerhin geschafft, fünf neue und durchaus markante Persönlichkeiten in den Rat zu bringen.
Steht jetzt schon alles im Zeichen der Oberbürgermeisterwahl 2017?
Ich hoffe nicht. Wir haben noch fast drei Jahre Zeit. Mit der neuen Situation müssen alle erst noch zurechtkommen, daher ist vieles vollkommen offen. Das Problem ist eher ein Oberbürgermeister, der auf mich nicht den Eindruck macht, den nötigen Ehrgeiz zu entwickeln, den er die vergangenen zehn Jahre bereits nicht gezeigt hat.
Sie wollen sein Nachfolger werden, deshalb hätten Sie die Koalition verlassen, um aus der Opposition heraus angreifen zu können, heißt es aus CDU-Kreisen …
Natürlich. Na klar. Das ist schon immer mein heimlicher Traum. Deshalb mache ich seit 20 Jahren Kommunalpolitik.
Ist das jetzt Ironie?
Na klar. Glauben Sie denn wirklich, ich opfere deshalb meine Zeit seit vielen Jahren. Mir geht es um meine Heimatstadt. Ich bin in der Politik, weil es mir wichtig ist und mir Spaß macht. Ich bringe mich seit Kindertagen gesellschaftlich ein und politisch seit ich 16 bin. Ich ärgere mich, wenn mir unterstellt wird, dass der Ehrgeiz, politische Karriere zu machen, mein Leitmotiv sein soll und würde gerne die Urheber solcher Aussagen mal nach ihren Leitmotiven befragen.
Was heißt das für die Arbeit im Stadtrat 2015?
Wir sollten aufhören, nur an diese Wahl zu denken. Die Sache muss wieder in den Fokus. Zum Jahreswechsel muss auch ich mich dann mal schütteln und den Frust der vergangenen Monate hinter mir lassen. Wir verlieren in vielen Bereichen den Anschluss. Städte wie Landau und Speyer hängen uns ab. Wir können nur gemeinsam die Probleme Neustadts lösen und müssen uns dabei immer das große Potenzial dieser Stadt bewusst machen, das nicht ausgeschöpft wird.
Interview: Wolfgang Kreilinger | ||||||
Quelle
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